Dass Roxy die Richtige für ihn ist, hat Markus Schmidt schon beim allerersten Treffen gemerkt. Sie ist 21, hat sanfte braune Augen und eine dichte schwarze Mähne. Sie ist zurückhaltend, fast schon ein wenig schüchtern. Freundlich und manchmal lustig.

Die Rede ist von einem Pony. Roxy ist eine der Hauptakteure bei einer Studie der Bundeswehr, die seit Januar 2021 einsatzversehrten Soldaten beim Weg zurück ins Leben helfen soll.

Ein Ort zum Gesundwerden

Wenn es irgendwo ein Stückchen vom Paradies gäbe, könnte es vielleicht genau hier bei Aichhalden im Landkreis Rottweil liegen. An diesem Morgen ist es kalt, doch die Sonne taucht alles in strahlende Farben. Saftiges Grün mit gelben Farbtupfern überall, die Bäume bekommen die ersten zarten Blätter.

Am Rand einer Wiese stehen ein Tipi und eine kleine, gemütliche Holzhütte. Ein Stückchen weiter zupfen drei Pferde einträchtig Halme aus einer Heuraufe. Hier, auf der Silberburg-Ranch, lebt Alexander Varn. Varn ist leitender Truppenpsychologe der Bundeswehr und einer der Köpfe und Herz der Pferdetherapie-Studie.

USA-Besuch mit den Therapiepferden

Der Regierungsdirektor hat von Menschen und Pferden gelernt, die sich auskennen: Bei einem wissenschaftlichen Austausch war Alexander Varn in Colorado Springs, USA. 140 Pferde hat die dortigen Air Force Academy, 4000 Patientenkontakte pro Jahr und Erfahrungen seit 1999. Ein ganzes Jahr war Varn dort, er und seine Pferde Kurt und Tally, die auch heute noch zum vierbeinigen Team in Aichhalden gehören.

Gemeinsam mit Varn kümmern sich Hauptfeldwebel Jens Hölzle, Lotse für Einsatzgeschädigte aus Donaueschingen, Militärseelsorger Stefan Boldt und Hauptfeldwebel Anna Schroer um die Patienten.

Sie sind das Team der Pferdetherapie-Studie (von links): Alexander Varn, Anna Schroer, Stute Tally, Jens Hölzle und Truppenpfarrer ...
Sie sind das Team der Pferdetherapie-Studie (von links): Alexander Varn, Anna Schroer, Stute Tally, Jens Hölzle und Truppenpfarrer Stefan Boldt. | Bild: Burger, Tatjana

Drei Männer sind es diesmal, die die sechs Wochen Therapie mit den Pferden absolvieren. Jeweils eine Gruppe pro Quartal kommt auf die Silberburg-Ranch. Stabsunteroffizier Markus Schmidt ist der einzige von ihnen, der seinen vollen Namen nennen möchte.

Er hat sich Roxy schon aus der Herde geholt und hat die kleine Stute an einem Baum festgebunden. Mit geübten Bewegungen bürstet er das Fell am Hals und Bauch des Tieres. Dazwischen schiebt er immer wieder ein Leckerli zwischen die weichen Ponylippen. Kaum zu glauben, dass er bis vor zweieinhalb Wochen mit Pferden so gar nichts am Hut hatte.

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Das trifft übrigens auf die meisten Teilnehmer zu, wie Alexander Varn erzählt. „Fast keiner hatte vorher Kontakt zu Pferden.“ Für die Studienteilnehmer ändert sich dies in Aichhalden stets schnell, allerdings wird nicht geritten, sondern über reine Bodenarbeit therapiert.

Soldaten lernen von den Pferden

Schon die Herdenbeobachtung am ersten Tag ist spannend – und aufschlussreich: Wenn die Tiere sich erschrecken, flüchten sie zunächst, kommen danach aber schnell wieder zur Ruhe. „Für Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) ist es gut, dies zu sehen und daraus vielleicht zu lernen, dass man auch nach schlimmen Erlebnissen im Einsatz wieder herunterkommen kann“, sagt Alexander Varn.

Plötzlich hat er PTBS

Während neben ihm immer mehr Büschel von Roxys hellem Winterfell im Gras landen, beginnt Markus Schmidt zu erzählen. Nach zwei Einsätzen in Afghanistan erkrankt der freundliche Mann mit dem Dreitagebart an PTBS. Er, der dachte, dass es ihn niemals treffen könnte. Mit vielen Folgen: Er zieht sich komplett zurück, schläft schlecht, hat Kontrollzwang, Depressionen. „Ich habe nur noch die Wand angestarrt und alle Hobbys und Interessen völlig schleifen lassen“, erinnert er sich. Die Welt, sie war für ihn plötzlich voller Hindernisse.

Die Angst überträgt sich auf die Tiere

All diese Hindernisse hat er vor ein paar Tagen überwunden. Auf einer der Wiesen der Silberburg-Ranch zumindest, mit Roxys Hilfe. Dort hat er gemeinsam mit Alexander Varn und Jens Hölzle einen kleinen Parcours aufgebaut. Start war der Ist-Zustand, das Ziel sein Zukunftswunsch. Gesund werden, heißt dieser. Jede Stange, jeder Pylon, jeder Klotz steht für eine Sorge, für ein Problem auf dem Weg dorthin.

Jedes Hindernis im Pacours steht für eine Schwierigkeit im Leben, die Markus Schnmidt überwinden muss.
Jedes Hindernis im Pacours steht für eine Schwierigkeit im Leben, die Markus Schnmidt überwinden muss. | Bild: Burger, Tatjana

Bei manchen Teilnehmern, erzählt Alexander Varn, haben sie beim Gang durch einen solchen Parcours Herzfrequenzen von 240 gemessen. Teils wollten die Pferde partout nicht über die Stangen – weil der Mensch an ihrer Seite vor etwas Angst hatte, für das diese Barriere stand. „Das Pferd zeigt uns, wenn es dem Mensch nicht gut geht, das ist für uns eine wichtige Hilfe“, betont auch Jens Hölzle. Oft jedoch, so sagt er, laufen die Tiere einfach mitten durch alle Hindernisse direkt zum Ziel.

Zusammen mit Pony Roxy geht dies leichter.
Zusammen mit Pony Roxy geht dies leichter. | Bild: Burger, Tatjana

Wie bei Markus Schmidt und seiner Roxy. „Sie hat sich einfach nicht beeindrucken lassen“, erzählt er. Und genau das, so sagt er, möchte er nun auch selbst wieder lernen.

Kosten des Projekts sind gering

Die Bundeswehr-Studie soll noch mindestens bis Ende des Jahres laufen, eventuell auch länger. 220 Soldatinnen und Soldaten werden am Ende an ihr teilgenommen haben, hier im Schwarzwald sowie am zweiten Standort in Berlin. Das Team aus Aichhalden hofft, dass es danach weitergeht. „Das kostet nicht viel, nur unsere Arbeitskraft“, sagt Alexander Varn.

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Markus Schmidt hat in der Zwischenzeit sogar die Hufe von Ponystute Roxy ausgekratzt. Jetzt kann es losgehen. Heute, sagt der 42-Jährige selbst, sei er nicht so belastbar. Er hat sich daher die Übung „Wohlfühlort“ ausgesucht. Der Wohlfühlort ist für ihn eine runde Koppel mit einem blühenden Baum. Mit Roxy wird er dort eine Weile verbringen und einfach beobachten. „Dabei kann man selbst herunterfahren“, erklärt Markus Schmidt den Effekt.

Nie wieder ohne Pferde

Noch hat er drei Wochen Therapie in Aichhalden vor sich. Doch eines ist dem Soldaten schon heute klar. Den Kontakt mit Pferden, den will er auch danach auf jeden Fall beibehalten. Und irgendwann mit ihrer Hilfe wieder ganz gesund werden.