Singen – Wie gelingt es, einen Literaturklassiker in Bewegung zu übersetzen? Eine Frage, die Ines Kuhlicke als Leiterin der Färbe-Ballettschule, rund zwei Jahre beschäftigt hat. Mit der Premiere des diesjährigen Ballettabends in der Basilika auf der Singener Musikinsel konnte sie zeigen, dass das geht – sie lässt Fahrkarten steppen, Blumen tanzen und kleine Ritter über die Bühne stampfen. In schwungvolle Bewegungen hat Kuhlicke die acht farbenfrohen Bilder übersetzt, zu denen Alexandra Born die Geschichte verdichtet hat, und alles in einem rauschenden Finale aufgelöst.

Lewis Carolls‘ weltberühmtes Kinderbuch „Alice hinter den Spiegeln“ wurde zur Grundlage des Ballettabends. Mehr als 100 motivierte Eleven und weitere zahlreiche Helfer hinter den Kulissen machten die Inszenierung zum Genuss. „Vor allem das Finale war überwältigend“, so Harald F. Müllers Bilanz nach dem Schlussapplaus.

Als Humpty-Dumpty Magdalena Herzberg und Alexandra Born als Alice.
Als Humpty-Dumpty Magdalena Herzberg und Alexandra Born als Alice. | Bild: Saskia Biehler

Während zum Ende der Aufführung immer mehr Tänzer die Bühne bevölkern, übernehmen kräftige Rhythmen die Kontrolle über die klassischen Melodien und untermalen musikalisch Alice‘s Abschied aus dem Spiegelland.

„Ich wollte offenlassen, was oder wer hier eigentlich verrückt ist. Die Musik von Leander Biehler hat das auf den Punkt gebracht“, erklärt Ines Kuhlicke. Sie hatte ihn beauftragt, die Melodien der Inszenierung für den Schluss zu verfremden. „Das hat sich grandios angehört“, bestätigt Regina Henke.

Doch von Anfang an: Mit einem Spiegelbild startet die Inszenierung. Gleich zwei Mal tritt Alice (Emilie Ende und Amelie Hausam) auf die Bühne. Wer vor und wer hinter dem Spiegel steht, tut nichts zur Sache. Etwas zu sagen hat einzig eine dritte Alice – Alexandra Born begleitet das Publikum als Erzählerin durch den bunten Reigen tänzerischer Glanzpunkte. Da springt ein namenloses Reh durch den Saal, drehen sich Twiedeldei und Twiedeldum und manch kleine Tänzerin macht große Augen angesichts der vielen Menschen in der ausverkauften Basilika. Das Interesse an der Aufführung ist gewaltig. Alle Vorstellungen sind ausverkauft.

Ballettschulleiterin Ines Kuhlicke (Mitte) mit Isabelle Simon, die die Kostüme schuf, und Leander Biehler, der die Musik zum Finale ...
Ballettschulleiterin Ines Kuhlicke (Mitte) mit Isabelle Simon, die die Kostüme schuf, und Leander Biehler, der die Musik zum Finale kreierte. | Bild: Saskia Biehler

Nach alter Färbe-Tradition konnte die Inszenierung nach allerlei Pandemiebeschränkungen wieder in Zusammenarbeit mit dem Theater verwirklicht werden. Gemeinsam führen die Schauspielerinnen Alexandra Born, Magdalena Herzberg und Dina Roos mit Tänzerinnen und Tänzern jeden Alters das Publikum mit Alice durch den Spiegel im Kaminzimmer in eine bizarre Welt, in der sie auf sprechende Schachfiguren, ein eigensinniges Ei und strickende Schafe treffen. Nichts ist, wie es scheint – und Glück hat, wer keine Marmelade mag. Die gebe es nur anderntags – also gestern oder morgen. „Aber heute nie“, erklärt Dina Roos als weiße Königin eine der vielen Weisheiten des Kinderbuchklassikers.

Ballettabend wird zum Tanz der Generationen

Vom ersten Moment an ist das Publikum gefangen in einem zauberhaften Schauspiel voller kunterbunter Kostüme, die Isabelle Simon verwirklicht hat, und den herrlichen Choreografien, mit denen schon die Kleinsten ihren großen Auftritt haben und auch die Großen mit gewagten Einlagen reichlich Applaus ernten.

„Mit weit mehr als 150 Mitwirkenden auf und hinter der Bühne, einer aufregenden Musikauswahl und eindrucksvollen Kostümen haben wir ein Riesenspektakel geschaffen“, sagt Färbe-Chefin Cornelia Hentschel, die auch Regie der Veranstaltung führte. Nachdem ihr erster Ballettabend als Schulleiterin und Choreografin für Ines Kuhlicke vor zwei Jahren noch unter den Ausläufern der Pandemie kleiner ausfiel, wurden in diesem Jahr alle Register gezogen, um in vielfältiger Zusammenarbeit ein abendfüllendes Format entstehen zu lassen.

Da ist es fast schon schade, dass das Publikum nun wieder zwei Jahre warten muss, um sich vom Tanz der Generationen verzaubern zu lassen.