Eine Stadt, das sind vordergründig viele Gebäude, Verkehrswege, vielleicht auch Parks. Doch all das dient natürlich den Menschen, die in einer Stadt leben. Wie ist es, in einer Stadt zu leben? Und konkret für Singen: Was bedeutet es, Singenerin oder Singener zu sein? Antworten auf diese Fragen gibt die Doppelausstellung „125 mal Singen“, die am Freitagabend eröffnet wurde und bis Mitte September im städtischen Kunstmuseum in der Ekkehardstraße zu sehen ist. Anlass ist die Verleihung der Stadtrechte an Singen vor 125 Jahren, im Jahr 1899.

Hier wird Singen erfahrbar: Die Präsenz der Firma Maggi wird in einer Küchenzeile umgesetzt, die die Hausschreinerei für die Ausstellung ...
Hier wird Singen erfahrbar: Die Präsenz der Firma Maggi wird in einer Küchenzeile umgesetzt, die die Hausschreinerei für die Ausstellung gebaut hat, wie Stadtarchiv-Chefin Britta Panzer erläuterte. | Bild: Freißmann, Stephan

Zu sehen gibt es im Erdgeschoss des Museums eine historische Schau, im Obergeschoss das Ergebnis eines Langzeitprojekts von Fotokünstler Marcus Schwier. Das Thema traf offenbar einen Nerv in der Stadtgesellschaft. Um zur Eröffnungsveranstaltung zu kommen, musste man am Einlass Schlange stehen, etwa 200 Anmeldungen habe es gegeben, sagt Museumsdirektor Christoph Bauer.

Die Köpfe hinter der Doppelausstellung (von links): Oberbürgermeister Bernd Häusler, Christoph Bauer, Leiter des städtischen ...
Die Köpfe hinter der Doppelausstellung (von links): Oberbürgermeister Bernd Häusler, Christoph Bauer, Leiter des städtischen Kunstmuseums, Fotokünstler Marcus Schwier, Britta Panzer, Leiterin des Stadtarchivs, Simon Götz, Stadtarchiv-Mitarbeiter für das Projekt Stadtjubiläum, und Catharina Scheufele, Leiterin des städtischen Fachbereichs Kultur und Tourismus. | Bild: Freißmann, Stephan

Zur Eröffnung der Doppelausstellung blickte Oberbürgermeister Bernd Häusler in seinem Grußwort auf das historische Umfeld der Stadterhebung Singens zurück. Singen habe vor 125 Jahren etwa 3900 Einwohner gehabt, das deutlich ältere Konstanz etwa 21.000 Einwohner. Und Häusler rechnete vor: Singen ist seitdem etwa zwölfmal größer geworden, Konstanz viermal größer.

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Das frühere Bauerndorf unterm Hohentwiel hatte 1899 aber bereits eine rasante Entwicklung hinter sich. Die Eisenbahn kam 1863 nach Singen. Zum Ende des 19. Jahrhunderts siedelten sich dann die Unternehmen Maggi und Georg Fischer in Singen an – mit nach wie vor stadtbildprägenden Werken südlich der Bahnlinie, heute unter den Namen Maggi und Fondium. Die Alu tat kurz vor dem Ersten Weltkrieg ein Übriges.

Deutschlandtempo Ende des 19. Jahrhunderts

Der Gemeinderat habe 1899 festgestellt, es gebe in Singen eine aufstrebende Entwicklung, die noch nicht am Ende angekommen sei, blickte Häusler nun zurück. Im Juli seien dann die Stadtrechte für Singen beantragt worden. Schon zwei Monate später, im September, kam die Antwort. Der Großherzog von Baden verlieh Singen „die Eigenschaft einer Stadt“, wie Häusler aus dem damaligen Schreiben zitierte. Eine Spitze in Richtung der heutigen Politik fehlte nicht: „Das war das Deutschlandtempo damals“, so Häusler.

Die Musik des Abends kam von der Gruppe Hontes-Brass, einer Abordnung des Blasorchesters der Stadt Singen.
Die Musik des Abends kam von der Gruppe Hontes-Brass, einer Abordnung des Blasorchesters der Stadt Singen. | Bild: Freißmann, Stephan

Eine Gruppe von städtischen Mitarbeitern aus Catharina Scheufele, Fachbereichsleiterin Kultur und Tourismus, Museumsleiter Christoph Bauer, Stadtarchivleiterin Britta Panzer und Archivmitarbeiter Simon Götz hat nun ein Programm konzipiert, um das Jubiläum zu feiern. Die Doppelausstellung nähert sich dem Jubiläum auf historischem wie künstlerischem Weg.

Fotograf Marcus Schwier war während vier Jahren immer wieder in der Stadt

Für die künstlerische Annäherung hat die Stadt den Fotokünstler Marcus Schwier engagiert. Er wurde 1964 in Düsseldorf geboren, studierte dort Architektur und danach, mit Schwerpunkt Fotografie, an der Kunstakademie Düsseldorf. Schwier war mit Ausstellungen im In- und Ausland präsent und hat viele Auszeichnungen erhalten. Heute lebt er in Düsseldorf und Salem. Seine Spezialisierung ist die Architekturfotografie.

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Für das Ausstellungsprojekt zu „125 mal Singen“ hat Schwier von 2020 bis 2024 immer wieder die Stadt erkundet, wie Museumsleiter Bauer in seiner Einführung erklärte. Gerade die Industriefotografie sei dabei ein besonderer Glücksfall gewesen, so Bauer. Der Gegenstand Industrie habe lange nicht als kunstwürdig gegolten, was Bauer am Rande der Ausstellungseröffnung auch anhand von Gemälden zeigte, die mit Schwiers Fotografien kontrastierend gehängt wurden. Zu deren Entstehungszeit, etwa bei Curth Georg Becker, war Singen längst Industriestandort. Industrie im Gemälde finde sich hingegen kaum, so Bauer.

Etwa 200 Besucher wollten die Eröffnung der Doppelausstellung miterleben.
Etwa 200 Besucher wollten die Eröffnung der Doppelausstellung miterleben. | Bild: Freißmann, Stephan

Schwier setzt einen Gegenakzent. Er erhielt Zutritt zu den Großbetrieben der Stadt und inszenierte die Arbeit, die dort getan wird, und die Anlagen, die dort genutzt werden, auf eigene ästhetische Weise. Die Fotoschau gibt damit Einblick in Welten, die in der Stadt alltäglich präsent sind, aber für die wenigsten Singener zum Alltag gehören dürften. „Jede Firma hatte ihren eigenen Reiz“, so Schwier. Doch er sagt auch: Die Unternehmen hätten immer vorselektiert, was er vor die Linse nehmen könne, unbegleitet sei er nie unterwegs gewesen.

In dieser Wahlurne hatten einmal alle Stimmzettel von allen Singener Wählern Platz. Für Simon Götz vom Stadtarchiv ein besonders ...
In dieser Wahlurne hatten einmal alle Stimmzettel von allen Singener Wählern Platz. Für Simon Götz vom Stadtarchiv ein besonders beeindruckendes Ausstellungsstück, das die rasante Entwicklung der Stadt zeigt. Denn so wenig Platz dürften die Singener Wählerstimmen schon seit Jahrzehnten nicht mehr einnehmen. | Bild: Freißmann, Stephan

Stadtarchivleiterin Britta Panzer und Simon Götz, der als Historiker an der Universität Konstanz und für das Projekt Stadtjubiläum beim Stadtarchiv arbeitet, stellten danach die historische Ausstellung vor, über die man als Besucher das Haus betritt. An dieser Stelle geht es eher ums sinnliche Erfahren. Was ist Singen und wie ist es, in Singen zu leben? Rasch sei die Idee zu einer Umfrage unter den Singenern entstanden, sagte Britta Panzer.

Umfrage als Grundlage für historische Ausstellung

Herausgekommen seien einige erwartbare Dinge, etwa die große goldene Maggi-Flasche, die normalerweise vor dem Gütterli-Hüsli auf dem Werksgelände auffällt und für die Ausstellung ins Kunstmuseum wanderte, so Götz. Doch auffällig sei auch die Liebe der Singener zu ihrer Stadt, „bei vielen eine Liebe auf den zweiten Blick“. Wie die Menschen hier eine Heimat gefunden haben, dem widmet sich die historische Ausstellung in fünf Themenschwerpunkten zwischen Stadtchronik, baulicher Entwicklung und dem Ruf der grauen Arbeiterstadt – gegen den man sich in Singen schon früh habe wehren müssen, so Götz.

Blick in die historische Ausstellung: Eine Stadtchronik gehört selbstverständlich dazu.
Blick in die historische Ausstellung: Eine Stadtchronik gehört selbstverständlich dazu. | Bild: Freißmann, Stephan

Wie kam das beim Eröffnungspublikum an? Stellvertretend können hier die Stimmen von Maria und Berthold Jörke stehen. „Das ist sehr wertschätzend ausgestellt“, sagt sie, die auch Führungen durch das Maggi-Museum im Güttertli-Hüsli macht. Und: Man müsste einmal zählen, wie viele Ausstellungsbesucher sich mit der großen Maggi-Flasche haben fotografieren lassen. Ihr Mann sagt: „Bei der Ausstellung über Vergangenheit und Gegenwart ist auch ein Trend spürbar, der in Richtung Zukunft zeigt.“