Wo sind die Alteingesessenen?

Rudolf Stöcklin, Überlingen: Ihr Bericht hat mich veranlasst, meine Erlebnisse und Eindrücke aus meiner Überlinger Zeit zu berichten. Überlingen habe ich durch meinen Beruf schon seit 1969 kennengelernt, seit 2010 wohnen wir hier. Mit dem Neubürger Herr Reichel habe ich die gleichen Widerstände bei Parteien, Behörde und bei den Alt-Bürgern erlebt.

Es fängt schon im Rathaus, Altbürger, Vereinsvorsitzende und vor allem Naturaktivisten werden vorrangig bedient. Nach meinem/unserem Parteibeitritt nimmt man die Neuen gar nicht zur Kenntnis, die Jungen sitzen getrennt zu den Alten. Die Neuen haben nicht einmal einen Gesprächspartner. Wir gehen zweimal auf den Wochenmarkt und kaufen heimische Produkte ein. Tradition ist, zwei bis vier Mal in der Woche auf der Promenade einen guten Kaffee zu trinken, verbunden mit Neu-Überlingern über Politik und Wirtschaft zu diskutieren. Seit dem Jahr 2010 treffen wir kaum alteingesessene Bürger, aber auch keine Bürger aus den Nobel-Baugebieten. Warum? Gute Ratschläge, Ideen zu der Infrastruktur gleich abgeschmettert. Meine Aktivität zu der LGS sind von anderen später übernommen worden.

Nicht einmal in den örtlichen Parteien wird der Neubürger wahrgenommen, was kann ein Herr Reichel (wie berichtet) in Überlingen noch erwarten? Wo fehlt es noch in Überlingen: marode Straßen, oft keine Gehwege, keine Randsteine, keine Straßenbäume um den CO²-Wert zu verbessern (siehe Singen Bruderhofgebiet), Post, Bahn mit zum Teil alten Dieselloks, der Rauenstein-Park als Ruhezone und es fehlt ein Programm für die Kurgäste. Früher hat ein Alleinunterhalter im Kursaal Tanzmusik gemacht. Die LGS-Verwaltung sollte aus der schönen Villa raus, hier wäre das Touristikzentrum mit Leseraum sinnvoll. Wie wollte ich mich einbringen: Hohe Berufs- und Lebenserfahrung, als Vorsitzender jedes Jahr eine Stadtgärtner- und eine Öffentliche-Grüntagung organisiert und geleitet! Jedes Jahr hatte ich 35 Fachvorträge gehalten und war auch ein Pflegeratgeber auf der Insel Mainau. Ich hoffe, noch möglichst lange fit zu bleiben, um zu schreiben. Die Zeilen sind nicht als Selbstdarstellung gedacht, sie sind eine Antwort an Konrad Reichel.

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Hätte mich vorher schlau gemacht

Klaus-Peter Reuble, Salem: Der Artikel liest sich für mich wie ein schlechter Witz. Ist es vielleicht genau der Klientel, mit dem wir hier am See nicht „warm“ werden? Ferienwohnung in der Schweiz, zwei Dauercampingplätze, die nach Lust und Laune mit dem eigenen Wohnmobil angefahren werden, wohnen im eigenen Haus in der Großstadt? Das haben die allermeisten von uns Einheimischen nicht, es ist schlicht und einfach unsere Heimat. Klar, sind wir eine Touristenecke geworden. Warum? Weil‘s do halt schä isch, z‘Iberlinge!

Der liebe Herr Reichel dreht sich wohl ein bisschen um seine eigene Achse. Ich würde an seiner Stelle zuerst mal nach mir selber schauen. Was will ich eigentlich? Ich hätte mich im Vorfeld doch ein bisschen schlau gemacht, wo ich hinziehen will, und nicht im Nachhinein, wenn‘s in die Hose geht, die Einheimischen hier dafür verantwortlich machen. Seinem vorher ausgeübten Beruf nach sollte er sich doch mit Menschen auskennen. Sei‘s drum, wieder gutes Einleben in Mannheim, wir hier bleiben Überlinger. Unser SÜDKURIER widmet sich dem „Fürzle“ mit einer ganzen Seite. Ich bin hier geboren, zur Schule gegangen, gearbeitet als Landvermesser, war jeden Tag mit den Einheimischen in Kontakt. Man merke sich, überall auf der Welt gibt es halt „en Dubbel“ mit dem „me it schwätze ka, dem got me halt us em Weg“.

Die Menschen hier sind nett

Horst Konrad Giesen, Hagnau: Der Artikel in Kurzform auf der Titelseite des SÜDKURIER und dann auf einer 7/8 Seite im Innenteil war im Prinzip überflüssig und entspricht nicht den Gegebenheiten. Wir selbst sind im fünften Jahr hier in einen kleinen Weinort gezogen und haben uns sehr schnell und erfolgreich eingelebt. Die Menschen hier am See sind äußerst nett, das Angebot an kulturellen Angeboten ist überwältigend und die persönlichen Begegnungen stets freundlich und einladend. Die Vita von Herrn Reichel ist ja nicht gerade „heimisch suchend“ verlaufen, vielleicht mit ein Grund, den Bodensee mit seiner bezaubernden Stadt Überlingen wieder zu verlassen.

Kein Überlinger Problem

Bruno Uhl, Nehren: Danke für die spannende, interessante Geschichte. Für mich ist sie nicht Überlingen typisch, sondern für Europa oder jedenfalls Deutschland typisch. So sind wir Menschen in der heutigen Zeit eben. So haben wir uns entwickelt, so sind wir sozialisiert.

Ich finde es auch eher schade, dass wir das Miteinander und Füreinander so sehr verloren haben. Natürlich hat dies auch mit unserem Wirtschaftssystem und unserem Wohlstand zu tun, wenn wir nur noch handeln im Sinne von „Nach uns die Sintflut“. Den Wert von Freundschaften und gegenseitiger Unterstützung hat man uns nicht beigebracht. Nochmals: die dargestellte Problematik ist kein auf Überlingen beschränktes Problem. Genau so läuft es ab an Hunderttausend anderen Orten in Deutschland.

Sind die Einheimischen in Überlingen zugeknöpft und Neubürgern gegenüber eher zugeknöpft? SÜDKURIER-Leser haben dazu verschiedene Meinungen.
Sind die Einheimischen in Überlingen zugeknöpft und Neubürgern gegenüber eher zugeknöpft? SÜDKURIER-Leser haben dazu verschiedene Meinungen. | Bild: Hilser, Stefan

Kein Anschluss in der Gegend

Ganga Mecker, Lindau: Seit 25 Jahren lebe ich auf der Insel Lindau habe nur oberflächlichen Anschluss gefunden, auch nur von Zugereisten! Bei all meinen Bemühungen: mal einen Kaffee mit Nachbarn? Kommt nicht zustande. Mit den Damen der Lindau Tafel hatte ich Gesprächskontakt! Lange her. Alles eingeschlafen. Keiner dreht sich um. Aus gesundheitlichen Gründen sitze ich jetzt fest zu Hause. Kein Anschluss in dieser Gegend. Nur im Sommer, mit den Touristen.

Es ist kein Selbstläufer

Dieter und Christine Seidel, Überlingen: Mein Mann und ich sind ebenfalls vor einigen Jahren nach Überlingen gezogen und haben uns sehr gut integriert. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass man auf die Leute zugeht und sich in der Stadt einbringt. Ein Selbstläufer ist das nicht. Wir jedenfalls fühlen uns sehr wohl in der Stadt, die nun unsere neue Heimat geworden ist.

Nach 30 Jahren nicht heimisch

Rita Materna, Uhldingen-Mühlhofen: Ich kann alles, was Herr Reichel berichtet und erzählt hat, nur bestätigen. Ich bin auch zugezogen, allerdings lebe ich mittlerweile 30 Jahre hier und heimisch fühle ich mich hier ganz und gar nicht!

Mehrmals wollte ich weg, aber es war immer ein Hindernis, einerseits wollte ich meine Tochter nicht wieder eine andere Schule zumuten und jetzt habe ich nur noch 2,5 Jahre bis zur Rente, und die sitze ich jetzt auch noch ab. Aber dann bin ich weg von hier, ich weiß noch nicht genau, wo es hingeht, aber nur einfach weg. Ich habe hier Sachen erlebt, die würden ein Buch füllen, aber mit nicht viel Schmeichelhaftem. Fazit: Herr Reichel, ich verstehe voll und ganz, was Sie meinen!

In Singen darf jeder mitmachen

Ralph Stephan, Singen: Ihr Artikel hat mich sehr berührt. Ich bin wie Herr Reichel ein Monnemer Bub und mich hat es im Wehrdienst an den Bodensee verschlagen. Ich kann ihm komplett nachfühlen. Die erste Zeit ist hart. Besonders, wenn man aus einer sehr offenen und kommunikativen Kultur kommt. Da wirkt das alemannische Publikum doch sehr reserviert bis abweisend. Aber nach einigen Jahren wurde ich heimisch. Das hat vor allem mit meiner Frau und ihrer herzensguten Familie zu tun. Aber auch viel mit der Stadt, in der ich jetzt lebe: Singen.

Eine Ausnahmeerscheinung in der Region, obwohl praktisch von allen Himmelsrichtungen auf diese quadratisch-praktische Industrie-Kleinstadt mit leichter Verachtung herabgeschaut wird. In Singen darf jeder zuziehen und mitmachen – denn alle anderen sind ja auch zugezogen und haben mitmachen dürfen. Das ist der „Setz Dich zu uns, nimm Dir ein Bier und erzähl mal“ Geist, mit dem ich in Mannheim groß wurde.

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Mich wiedergefunden

Heike Demke, Ganderkesee: Ein sehr schöner Bericht, der mich an meinem Leben nach dem Tod meines Mannes erinnert. Auch ich bin nach Überlingen gezogen, weil ich mit dem Verlust meines Mannes nicht klarkam, auch ich fühlte mich dort fremd, war zehn Jahre von einem Ort zum anderen, bis ich dann zu mir gefunden haben und jetzt im Norden lebe. Endlich hab ich mein Leben wieder und kann glücklich leben, lebe alleine, mit kleinem Hund, aber glücklich.

Wir sind optimistisch

Arnold Laux, Leiwen: Ihren Bericht fand ich sehr interessant. Meine Frau und ich (71) werden im August unseren Wohnsitz von der Mosel nach Kluftern verlegen. Der Kinder wegen, die in Immenstaad wohnen. Wie wir dort zurechtkommen, wird sich zeigen. Wir sind jedoch optimistisch.

Ein Netzwerk braucht Zeit

Björn Klose, Überlingen: Eine spannende Geschichte und verständliche Entwicklung. Ich hätte gesagt, der Mann hat hier zwar Überlingen gefunden, aber eben noch nicht ganz sein neues Selbst. Bei uns als ebenfalls reingeschmeckte Familie mit kleinen Kindern ist das Fazit nach einem Jahr genau umgekehrt.

Wir sind gekommen um zu bleiben und freuen uns selbst bei Hagel im April über die schöne Zeit hier am Bodensee. Ein neues soziales Netzwerk von null an aufzubauen, braucht Zeit, als Familie haben wir es da sicher einfacher. Aber als Einzelunternehmer stehe ich jetzt im zweiten Jahr vor der gleichen Herausforderung. Und für meine Frau kommt neben dem Spracherwerb ebenfalls die Frage, wie man als Künstlerin und Kunstpädagogin an einem so kleinen Ort richtig Fuß fasst. Der Weg ist das Ziel!