Ein dreibeiniges, knallrotes Metallgerüst steht mitten im Raum. Umgeben ist es von Wänden mit Infotafeln, Schwarz-Weiß-Bildern und Zeitungsartikeln aus der Nachkriegszeit. Bei dem Gerüst handelt es sich um ein Karussell. Das Karussell steht laut Projektleiter Tobias Erne sinnbildlich für die Maybach-Arbeiter, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg in ihrer neuen Heimat, in der französischen Siedlung Buschdorf bei Vernon zurechtfinden mussten.

Die Projektbeteiligten (von links): Noah Melich, Stefan Seeger, Alexander Ott, Tobias Erne und Fiona Bailey.
Die Projektbeteiligten (von links): Noah Melich, Stefan Seeger, Alexander Ott, Tobias Erne und Fiona Bailey. | Bild: Björn Spegel

Eine 2022 im Stadtarchiv Friedrichshafen gefundene Fotoaufnahme eines Karussells aus der Buschdorf-Siedlung in Frankreich war ein Glücksgriff für die Projektbeteiligten, die die Ausstellung „Karussell von Vernon – wie aus Gegnern Partner wurden“ kuratiert haben. Auf dem Foto sind ein Karussell und junge Menschen abgebildet. Das Karussell spielt für Projektleiter Tobias Erne eine entscheidende Rolle: „Das Karussell, das auf und ab geht, verdeutlicht die emotionalen Höhen und Tiefen der deutschen Arbeiter während der Nachkriegszeit in Frankreich.“ Weiter sagt Erne: „Mir gefällt, dass die Aufnahme verschwommen ist, weil das auch für die Unklarheit und Verwirrung steht, die damals vorherrschte.“

Projektleiter Tobias Erne von der Wilhelm und Karl Maybach Stiftung präsentiert das Foto, das im Stadtarchiv entdeckt wurde und das der ...
Projektleiter Tobias Erne von der Wilhelm und Karl Maybach Stiftung präsentiert das Foto, das im Stadtarchiv entdeckt wurde und das der Startpunkt für die Ausstellung war. | Bild: Björn Spegel

Ausstellung erzählt Deutsch-Französische Annäherung

Doch was hat es mit der Ausstellung genau auf sich? 1946 wurde eine Gruppe deutscher Arbeiter in den französischen Ort Vernon versetzt. Untergebracht waren sie allerdings nicht in Vernon selbst, sondern in einer provisorisch eingerichteten Siedlung namens Buschdorf. Dort konnten die Deutschen abseits der feindlich gesinnten, teils von den Kriegsereignissen traumatisierten französischen Bevölkerung leben.

Die Schüler Noah Melich und Fiona Bailey vom Karl-Maybach-Gymnasium haben das Projekt vorangetrieben.
Die Schüler Noah Melich und Fiona Bailey vom Karl-Maybach-Gymnasium haben das Projekt vorangetrieben. | Bild: Björn Spegel

Das Karussell wurde von einem Metallbetrieb aus Grünkraut angefertigt. Die Vorlage lieferten die Schüler der Karl-Maybach-Schule, Noah Melich und Fiona Bailey. Deren Lehrer Alexander Ott unterstützte die beiden und gemeinsam fertigte die Gruppe ein 3D-Modell an. „Das Foto hat bei mir ein gutes Bauchgefühl ausgelöst“, sagt Lehrer Ott.

Fiona Bailey recherchierte kurzerhand selbst im Stadtarchiv. So konnte sie für die Ausstellung wichtige Dokumente entdecken. Darunter war auch ein Zeitungsartikel von 1948, der die vierwöchige Schließung der Maybach-Werke in Friedrichshafen dokumentiert.

Projektleiter Tobias Erne steht neben Techniklehrer Alexander Ott, der die Umsetzung mit den Schülern auf die Beine stellte.
Projektleiter Tobias Erne steht neben Techniklehrer Alexander Ott, der die Umsetzung mit den Schülern auf die Beine stellte. | Bild: Björn Spegel

Projektleiter Tobias Erne von der Wilhelm-und-Karl-Maybach-Stiftung erklärt: „Viele Fragen sind noch offen: Wie ging die französische Bevölkerung mit den Deutschen um, die wenig zuvor noch zu ihrem Feinden zählte? Wie entstand deutsch-französische Partnerschaft?“ Die Ausstellung regt mit Bildern, Sammlungswerken der Maybach-Stiftung und Infotafeln zum Nachdenken an.

„Die Ausstellung soll mit dem Input der Besucher wachsen“, sagt Erne. Das Konzept in den ehemaligen Räumlichkeiten einer Bank soll eine Zeit des Umbruchs beleuchten. Die Besonderheit: Die Besucher werden über pinke Kreise am Boden des Raumes mit Fragen konfrontiert: Wie können wir Menschen in der Integration unterstützen? Woran haben die Menschen während der Karussellfahrt wohl gedacht? Das soll die Besucher zum Nachdenken und zum Dialog anregen.

Kommunikation stellte sich als große Hürde heraus

Für die meisten Maybach-Arbeiter war es schwierig, ohne Sprachkenntnisse in Frankreich zurechtzukommen, wie Erne beschreibt. „So wurde etwa der Einkauf von Nahrungsmittel für die Deutschen vor Ort zum Hindernis. Man musste sich teils mit Händen und Füßen verständigen“, sagt Erne.

Karl Maybach war selbst in Vernon

Auch Karl Maybach, der Namensgeber der Wilhelm-und-Karl-Maybach-Stiftung, lebte ab September 1947 mit seiner Familie in Vernon. Maybach sprach selbst fließend Französisch. Aus heutiger Sicht vermutet man: Sein Aufenthalt und kooperatives Verhalten mit der französischen Militärregierung in Vernon trug dazu bei, dass ab 1950 auch in Friedrichshafen wieder Dieselmotoren produziert wurden. Friedrichshafen war damals Teil der französischen Besatzungszone. Die Maybach-Werke waren hier zwischenzeitlich geschlossen. Wie in einem Zeitungsartikel dokumentiert, dauerte die Schließung 1948 vier Wochen an.

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Auch Zeitzeugenbefragung ist Teil des Projekts

Für die Ausstellung befragten die Schüler mit dem 82-jährigen Pfarrer Max Stark auch einen Zeitzeugen. Stark war damals als Kind in Vernon und besuchte mit seiner Schwester die dortige Schule. Erne erzählt vom Gespräch: „Max Stark war ein guter Schüler. Dadurch, dass der Unterricht auf Französisch war, lernten er und seine Schwester die Sprache schnell.“ Erne sagt weiter: „Sein Vater Max Stark Senior, der mit der Familie in die Siedlung Buschdorf kam, war auch gegenüber der Stadtbevölkerung in Vernon sehr aufgeschlossen und ging auf die Menschen offenherzig zu.“ Stark berichtete weiter, dass er eine außergewöhnlich schöne Kindheit gehabt habe und auch als Erwachsener immer wieder gerne nach Vernon zurückgekehrt sei. Und das Projekt ist noch lange nicht abgeschlossen: „Wir suchen weitere Zeitzeugen und freuen uns, wenn das Vorhaben weiter wächst“, so Erne.

Schüler Noah Melich befragt Zeitzeuge Max Stark Anfang des Jahres.
Schüler Noah Melich befragt Zeitzeuge Max Stark Anfang des Jahres. | Bild: Marco Eckle

Die Ausstellung „Karussell von Vernon – Wie aus Gegnern Partner wurden“ ist ab sofort bis 28. Juni in der Karlstraße 41 zu sehen. Geöffnet ist sie immer donnerstags und freitags von 14 Uhr bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.